Mittwoch, November 22, 2006

Marathon

An diesem Eintrag wird deutlich, dass ich immer etwas Zeit brauche, um das Geschehene niederzuschreiben. Und zwar geht es heute um den Nairobi Marathon am 29.10.2006.

Jedes Jahr um diese Zeit findet in Nairobi ein Marathon statt. Es wird nicht nur Marathon gelaufen (42km), sondern auch Halbmarathon (21km) und ein sehr begehrter 10km-Lauf. Es sollen sich insgesamt ca. 15000 Läufer angemeldet haben. Ich habe mich für umgerechnet 3 Euro für den Halbmarathon angemeldet. Im Preis enthalten waren ein Trikot und eine Medaille und Urkunde, falls man im Ziel ankommt. Die Zeitmessung wurde mit modernen Chips am Fuß des Läufers gemessen.

Ich bin morgens um 5 Uhr aufgestanden und bin nach kohlenhydratreichem Frühstück im Sonnenaufgang zum Stadion gelaufen. Eine halbe Stunde, beste Einlaufmöglichkeit. Viele Läufer mussten sich meinem Lauf anschließen, weil die Straßen rundherum weiträumig gesperrt waren und die vielen Matatus hier nicht weiterkamen. Einige Läufer sind auch zu spät angekommen und mussten dem Feld hinterherlaufen. Ich gehörte glücklicherweise zu denen, die rechtzeitig da waren und in riesengroßen Zelten die Möglichkeit bekamen, ihr Gepäck unterzubringen. Das Gepäck wurde in gelben Plastiktüten verstaut und mit der Startnummer gekennzeichnet und anschließend unsortiert irgendwie in das Zelt gelegt. Ich bekam Zweifel, ob ich nach dem Lauf ohne großen Aufwand meinen Rucksack wiederbekommen würde und fragte nach, ob sie es nicht sortieren wollten. Beruhigenderweise wollten sie es während des Laufs dann noch sortieren.

Rund um das Stadion waren wahnsinnig viele Menschen. An den Startnummern erkannte man, welchen Lauf sie antreten werden. Einige hatten auf ihrer Startnummer einen Sticker. Dieser kennzeichnete die Profis, die bereits Spitzenzeiten auf diesen Strecken gelaufen sind. Viele unterschiedliche Nationalitäten waren vertreten. Mexikaner, Chinesen, Europäer…

Bei der Anmeldung musste man eine Zeit für die Strecke angeben. Einige etwas korpulentere Kenianer liefen auch mit diesem Sticker rum. Dies ließ mich vermuten, dass sie sich bei der Angabe ihrer eigenen Zeit evtl. etwas vertan hatten. J

Vor dem Lauf die üblichen Probleme: Trink ich noch etwas, soll ich mich noch warmlaufen, hab ich noch genug Zeit zum Dehnen? Wann geh ich das letzte Mal aufs Klo? Beim Einlaufen liefen Fotografen herum, die Fotos von den Läufern machten und im Anschluss an den Lauf zum Verkauf angeboten haben. Ein kenianischer Läufer wollte sich mit mir ablichten lassen. Kein Problem. Ein Foto mit einem Weißen ist hier noch immer etwas Besonderes.

Nach drei Toilettengängen und einer leeren Wasserflasche war ich bereit. Eine Absperrung trennte die Profis vom Rest. Nun wurde die Absperrung aufgehoben und eine riesige Menschenmenge näherte und bedrängte schließlich die Profis so sehr, dass sie sich notgedrungen an den Rand zurückzogen. Der Start wurde durch ein mit Luft aufgeblasenem Tor gekennzeichnet. 7.50h: Der Startschuss fällt und es beginnt ein ständiges Gepiepe. Man läuft über eine Schwelle, die jeden einzelnen Chip am Schuh mit einem Piep signalisiert. Das Gedränge ist groß, so groß, dass sich das Tor entscheidet, nicht mehr aufrecht zu stehen, sondern sich auf die Häupter der Läufer senkt. Mit erhobenen Armen passiere ich nun den Start, um mir den Weg durch das Tor zu bahnen. Geschafft. 21km laufen. Meine Premiere für diese Entfernung. Vor fünf Jahren hatte ich bei den Helstorfern (SV Germania Helstorf) allerdings schon das Vergnügen an Wettkämpfen über 15km teilzunehmen. Doch damals war ich noch trainiert. Für diesen Lauf habe ich eine Woche lang auf den Straßen Nairobis versucht, mich an die dünne Luft auf 1700m Höhe anzupassen. Leider hinderte mich die verpestete Luft an einem genussvollen Training. Ob ich durchhalte?

Das Feld sortiert sich schnell. Die Stickerträger sind nicht mehr zu sehen. Am Anfang läuft man noch über einige Kreuzungen, doch bald ist die monotone Strecke erreicht. 17km des Halbmarathons bestehen aus einem einmaligen Hinundherlaufen einer ganz langen Straße. Irgendwann höre ich „Bernhard, Bernhard". Anna, eine Deutsche, die als Praktikantin im Krankenhaus arbeitet, hat mich entdeckt und feuert mich an. Das spornt an.

In der Ausschreibung stand, dass alle fünf km ein Schild steht. Leider habe ich bisher keines entdeckt. Habe ich es übersehen? Fünf km müssten um sein. Den ersten Wasserstand lass ich links liegen. Leider halten sich die Läufer nicht an die Bitte die Flaschen nach Gebrauch nicht auf die Straße zu schmeißen, so dass eine riesige Pfütze und herumliegende Flaschen den Wasserstand markieren. Um keine nassen Füße zu bekommen, muss man sich ganz rechts halten.

Hm, immer noch kein Schild. Keine Orientierung wie schnell ich bin. Ich hatte mir vorgenommen unter 100 Minuten zu brauchen. Doch nun, nur geradeaus, irgendwie nach Gefühl. Am Rand stehen nur erstaunlich wenig Zuschauer, auch kaum Jubelrufe vom Rand. Ab und zu schreien ein paar Weiße und feuern ihre Favoriten an. Das ruhige Betrachten erinnert mich an die Trommelfeste in Tansania. Auch dort wurde kaum Regung gezeigt. Anscheinend ist es hier so üblich.

Immer geradeaus. Die Beine fangen an, sich bemerkbar zu machen. Endlich erreiche ich den Wendepunkt der langen Straße. Nach der halben Strecke meine erste zeitliche Orientierung. 7 min zu schnell für 100 Minuten. Ich drossele mein Tempo etwas. Meine Beine schmerzen immer mehr. Eine kurze Zeit laufe ich mit einem Triathleten aus Schweden zusammen. Ich gebe ihm Windschatten, doch allzu viel Wind ist nicht und sein Tempo ist etwas zu schnell. Wir trennen uns wieder. Die Zeit vergeht und es wird wärmer. Die Sonne brennt. Ich bin völlig ausgetrocknet und bediene mich an den Wasserstationen. Trinke und mache meine Arme nass. Kein Schild in Sicht. Wie lange muss ich noch durchhalten? Bin etwas durcheinander und lese meine Uhr falsch. Denke, dass in wenigen Minuten das Ziel kommen muss. Laufe etwas schneller. Ich überhole einige und setze fort. Nach einiger Zeit werde ich misstrauisch. Ich schaue erneut auf die Uhr und stelle fest, dass noch mindestens eine halbe Stunde vor mir liegt. Völlig erschöpft werde ich wieder langsamer, passe mich an das Tempo der anderen Läufer und ärgere mich. Mir geht's nicht gut. Versuche durch ein wenig Gehen, mich zu regenerieren, doch die Beine schmerzen nach einem Schritt Gehen so sehr, dass ich mein Laufen fortsetze. Nun ist der Wasserstand wie ein Segen. Ich ueberschuette mich mit Wasser. Es geht nichts ueber diese Dusche.

Ein Schild deutet darauf hin, das der volle Marathon in zwei km vorbei ist. Auch hier dachte ich, etwas Tempo kann ich zulegen. Wo der volle aufhört muss auch der halbe Marathon aufhören. Leider müssen die Halbmarathonläufer einmal mehr um das Stadion herumlaufen, so dass ich erneut zu früh war. Endlich kommt das Stadion in Sicht. Ein Umweg und ich bin im Stadion. Im Stadion eine letzte Runde und das Ziel ist nach 1:35h erreicht. Kaum des Gehens mächtig wird mir die Positionsnummer 657 überreicht. Die Medaille wird überreicht, der Chip wird abgenommen und man muss warten und warten, um einen Abschnitt von seiner Startnummer abzugeben. Nach einer Stunde Erholung mache ich mich auf die Suche nach der Siegerehrung. Irgendwo steht ein Mann mit einem 20cm dicken Stapel Urkunden in der Hand und liest vor einer riesigen Menge die Namen auf den einzelnen Urkunden ab. Ich stehe soweit entfernt, dass ich ihn kaum verstehe. Die Leute melden sich bei Erwähnen ihres Namens und die Urkunde wird durchgereicht. Ich denke, dass kann ja ewig dauern und frage mich, in welcher Reihenfolge es vorgelesen wird. Ich frage herum und sie meinten, es gebe keine Reihenfolge. Trotz Misstrauen, ob ich jemals aufgerufen werde, blieb ich einen Moment. Und tatsächlich wurde mein Name genannt. Stolz auf meine Zeit, verbrachte ich den Rest des Tages völlig erschöpft im Bett.

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