Sonntag, September 24, 2006

Krankengeschichten

Es ist viel passiert in der Zwischenzeit. Lasst mich von ein paar Krankengeschichten berichten. Wer nur kleine Erkrankungen gewohnt ist, sollte hier aufhoeren.

Tumoren werden hier spaet erkannt, oft erst wenn der Tumor bereits die Haut erreicht hat. Riesen Knoten in der Brust oder ulzerierte Brustkrebse sind keine Seltenheit. Wenn es die Kinder trifft, ist es am schlimmsten. Auf unserer Station liegt gerade ein Junge. Er hat einen Tumor vom Hoden ausgehend. Der Hoden ist riesig, ein Lymphknoten in der Leiste ist nach aussen ulzeriert. Seit zwei Tagen hat er im linken Bein ein Lymphoedem. Ihm tut sein Bauch weh als seien schon ueberall Metastasen. Die Leber scheint auch beteiligt zu sein. Um den Bauchnabel heben sich Venen ab, die darauf hindeuten, dass zu wenig Blut die Leber passiert. Er bekommt Schmerzmittel, Mittel gegen Brechreiz. Eine kurative Therapie ist vermutlich nicht mehr moeglich. Die Biopsie, die nach einigen Wochen endlich eingetroffen ist, zeigt, dass es sich um ein Rhabdomyosarkom handelt. Seit gestern klagt er auch über Schmerzen im Nierenbereich beim Wasserlassen. Was tun?

Ein anderer Patient hat mehr Glueck. Sein Beruf ist, Geld im Matatu einzusammeln. Sein Matatu wurde Sonntag morgen um 7:20 h ueberfallen und eine Kugel ging erst durch sein rechtes und anschliessend streifte sie sein linkes Bein. Am Montag wurde die Wunde gesaeubert und heute wurde er entlassen. Im selben Zimmer liegt ein Patient, der ein Opfer unter vielen bei einem Autounfall auch am Sonntag war. Bei ihm wurde Blut im Bauch festgestellt, da er stabil war, kam er aber erst am Montag auf den OP-Tisch. Seine Milz war gerissen. Waehrend der OP wurden 1,5 l Blut aufgesaugt. Ihm gehts zunehmend besser. Er scheint ueber den Berg. Andere, die in den Unfall verwickelt waren, sind schlechter dran. Die Patienten mit Kopfverletzungen liegen meist an allen Extremitaeten angebunden in ihren Betten oder liegen auf einer Matratze direkt auf der Erde. Es wird gewartet, bis ein CT durchgeführt werden kann oder sich der Patient von alleine bessert.

Ein anderer liegt seit Monaten auf der Station und ist völlig abgemagert und hat sich von seiner Kopfverletzung nicht erholt. Neben ihm, liegt wieder jemand mit einem Tumor. Ein streuender Magenkrebs. Er hat bereits seit Jahren nicht mehr vernünftig gegessen, weil die Magenpassage eingeengt ist. Völlig abgemagert liegt er entlassen in seinem Bett. Er ist nach Tagen nach seiner Entlassung noch da, da er die Rechnung für die Behandlung nicht ausgleichen kann. Viele Patienten liegen noch auf Station, obwohl sie entlassen sind und warten darauf, dass ihre Angehörigen das Geld in irgendeiner Weise besorgen. Eigentlich alle Patienten haben keine Krankenversicherung und müssen die Behandlungen aus eigener Tasche bezahlen. Im Krankenhaus gibt es nur eine Privatstation, wo die Patienten mit Versicherung behandelt werden. Für ein kenianisches Einkommen sind die Behandlungskosten immens hoch. Eine Krankenakte zu öffnen kostet 3 €, ein Tag im Krankenhaus 4,50 €, ein CT 45 € und z.B. die Entfernung einer Prostata kostet 80 €. Bei einem monatlichen Einkommen von rund 80 € ist das viel.

Freitag, September 08, 2006

der erste OP-Tag

Jetzt ist es schon Donnerstag und ich habe soviel erlebt, dass ich wahrscheinlich nicht mehr dazukomme, darüber zu berichten. Ich bin euch noch einen Bericht vom ersten OP-Tag am letzten Freitag schuldig:
Freitag, 1.9.2006:
Um sieben klingelt der Handywecker. In den Swimmingpool haben wir es vor dem Aufbruch ins Krankenhaus nicht mehr geschafft. Der öffnet erst um acht und ist morgens wie abends bei den milden Temperaturen in Nairobi sehr erfrischend kalt. Wir sind meist die einzigen, die sich dort hineintrauen. Viele Afrikaner können nicht schwimmen. Ein Grund könnte sein, dass die Mehrzahl der Seen in Kenia ist mit Bilharziose verseucht, und der Indische Ozean ist weit weg.
Nun denn, wir machten uns auf den Weg ins Krankenhaus. 20 Minuten Fußmarsch, da es leider keine direkte Matatuverbindung gibt. Die ersten Tage haben wir auf Grund eines kleinen Umwegs noch etwas länger gebraucht. Der Weg führt an Straßen vorbei, die nicht zu stark befahren werden, doch um die Luft durch tiefschwarze Abgase zu verpesten, bedarf es nur einer einzigen Drecksschleuder. Mit der Zeit gewöhnt man sich an alles, auch daran, dass man bei Anblick einer herannahenden Abgaswolke nicht vor Schreck die Luft anhalten, sondern eher umgekehrt tief einatmen sollte und sich erst beim sichtbaren Erreichen der eigenen Nase, dem Atemzentrum entgegen stellt.
Nadine und ich gehen in die verschiedenen Umkleideräume der OPs, nicht zu vergleichen mit den deutschen. Auf der Erde liegen gebrauchte Mundschutze und Hauben herum, einzelne blutverschmierte Gummistiefel. Auf der Toilette gibt es keine Seife, kein Klopapier. Viele abschließbare Schränke, wo leider überall Vorhängeschlösser den Zugang versperren. Da ich eigene OP-Kleider aus Deutschland mitgebracht habe, fiel die Suche nach diesen weg. Das wäre auch nicht einfach gewesen und mit Wartezeit verbunden. Wapi ni (Wo sind) Schuhe, Haube, Mundschutz? Nach einer Befragung von Passanten werden mir sogar Schuhe aus einem abgeschlossenen Schrank übergeben, aber nur mit dem Versprechen, dass ich sie auch wieder zurückgebe. Ich solle sie nach meinem Tag hinter den Schrank stellen. Meine anderen Schuhe verbarrikadiere ich in einer Schublade, meine restlichen Sachen nehme ich mit. Einen Stock höher erreiche ich den Flur zu den OPs. An der Rezeption erhalte ich eine Haube. Viel zu klein, aber es war die für Männer und die haben hier alle kurzgeschorene Haare.
Wir sind, wie es sich als Deutscher gehört, pünktlich im OP-Saal eingetroffen. Leider ist dort um Viertel nach Acht noch gähnende Leere. Im Vorraum steht allerdings schon eine Horde Zahnmedizinstudenten. Ca. 20. Um neun trifft unser Chief Consultant (Chefarzt) ein und hat uns eine Stunde zu unterschiedlichen Nahtmaterialien, jegliche Verwendung von Ethanol, Methylenblau, Lidocain, Adrenalin, Cortison abgefragt. An dem Fragestil merkt man, dass hier der Unterricht eine andere Gestalt annimmt. Die Antwort gestaltet sich meist als eine Aufzählung von Dingen.
Die erste Patientin wird in den OP gefahren. Alle Studenten drängen hinein und stehen um die OP-Liege herum. Der OP-Saal ist voll und die Patientin wach. Nach einiger Zeit gehen wir wieder in den Vorraum. Der Chefarzt erklärt, dass wir zu viele sind und daher die Studenten nicht an der OP teilnehmen können. Wir besprechen noch einige theoretische Dinge und anschließend endete der Unterricht. Wir PJler dürfen bei den nächsten OPs teilnehmen. Die erste OP ist ungeplant und bereits vorbei, so dass wir noch einige Zeit warten auf die nächste. Eine laparoskopische Appendektomie. Nadine wird als Frau der Vortritt gegeben für die Assistenz bei dieser OP. Der Patient wird hereingefahren, eingeschläfert. Der erste Trokar wird installiert. Nun soll der Bauch mit Gas gefüllt werden. Nach einigen Anläufen funktioniert es. Die Kamera- und Instrumentenzugänge für die Laparoskopie am Bauch des Patienten gelegt. Auf den Bildschirmen sieht man bisher nur ein blaues Bild. Nach einigen Versuchen erscheint das Kamerabild. Der Chefarzt ist unzufrieden mit der Helligkeit der Kamera. Der Springer im OP versucht einiges zu verstellen. Auch ich springe umher und versuche mein Glück, aber es hilft nichts. Die Helligkeit wurde von irgendeinem Apparat heruntergeregelt, und der Bildschirm zeigte nur einen kleinen Bereich hell an. Der Chefarzt verliert die Geduld, legt das Skalpell beiseite und verlässt wütend den Raum. Nun standen Nadine und der Assistent alleine dort und schlossen die kleinen Wunden. Anschließend wurde der Appendix auf natürliche Weise entfernt. Die Gallenblase, die auch anschließend laparoskopisch entfernt werden soll, wird abgeblasen. Ich verstaute die OP-Schuhe hinter dem Schrank und machte mich auf den Weg zum Lunch. Inzwischen war es halb zwei.

Bilder die zweite





Mittwoch, September 06, 2006

Bilder Lake Naivasha

Das sind Bilder vom Lake Naivasha. Auf dem ersten sieht man auf das Rift Valley, das durch das Auseinandergehen der beiden afrikanischen Kontinentalplatten entstanden ist.
Auf dem Rueckweg sind wir die alte Strasse langgefahren, die bereits zum Teil durch die EU in eine Asphaltstrasse umgebaut ist. Das Bild zeigt einen Abschnitt, den der die Walze noch nicht erreicht hat.

Samstag, September 02, 2006

Tiwi Beach



die ersten zwei Tage im Krankenhaus

Nun sind wir die ersten drei Tage im Krankenhaus gewesen und schon die haben viele Erlebnisse mit sich gebracht. Mittwochmorgen haben wir uns beim Elective coordinator eingefunden, der uns alle drei, Malte, Nadine und mich, auf eine General Surgery Station eingeteilt hat. Nach der ersten Woche werden wir uns auf drei General Surgery Stationen aufteilen. Wir haben mit ihm vereinbart, alle vier Wochen die Unit zu wechseln. Hier gehören z.B. die Anästhesie, HNO, Kinderchirurgie und Notaufnahme netterweise auch zur Chirurgie.
Wir begaben uns auf die 5A und stellten uns der Pflegeleitung und dem anwesenden Senior Clinical Officer (SCO) vor. Er zeigte uns die Station und führte zusammen mit drei Interns eine Visite durch. Leider konnte ich aufgrund der kenianischen Englischaussprache und meiner schlechten Vokabelkenntnis nicht alles verstehen, aber immerhin vergleichbar viel wie die anderen.
Wie uns schon der Coordinator angekündigt hatte, wird es hier anders aussehen als in Deutschland, da die Patienten bis zum letzten Augenblick warten bis sie ins Krankenhaus gehen. Entzündete Blinddärme sind in aller Regel geplatzt oder auch Typhus wird solange durchgemacht, bis die Patienten abgemagert sind und die Erkrankung durch eine Darmperforation und damit durch eine Peritonitis kompliziert wird. Hinzukommt, dass das Krankenhaus so überlaufen ist, dass es seine Zeit dauert bis die Patienten in den OP kommen.

Mittwoch: Darauf vorbereitet, kommen wir auf die Station mit jeweils drei geschlechtergetrennten Krankenzimmern und jeweils ungefähr 8 Krankenbetten. Die Kranken liegen gekrümmt oder auch trotz starker Schmerzen tapfer in ihren Betten und warteten darauf, dass das Schicksal sie wieder gesund mache. Sie haben hellblaue krankenhauseigene Klamotten an, die durch ihre KNH-Aufdrucke (Kenyatta National Hospital) an Sträflingskleidung aus Gefängnissen erinnern. Die einmal weiß lackierten Metallbetten, zeigen ein weiß-schwarzes Muster. Teilweise ohne Bettlaken liegen die Patienten direkt auf den Plastikmatratzen und decken sich mit unbezogenen Decken zu. Hier und da hängen Drainagen und Katheter aus den Betten mit Inhalten, die ich in Deutschland noch nicht zu Gesicht bekommen habe.
Neben den Infektionskrankheiten sind auch viele Kopfverletzungen dabei, durch Gewalttaten oder auch Matatuunglücke. Ein junger Patient hat eine schwere Kopfverletzung und ist wohl seitdem nicht bei vollem Bewusstsein. Er wird mit Tüchern an das Bett festgebunden, damit er nicht rausfällt oder sich nichts antut. Heute hat er bisher ohne klare Ursache eine massiv geschwollene rechte Hand mit prallen Blasen auf Handinnen- und –außenfläche entwickelt. Der SCO weiß sich nicht zu helfen, tippt auf ein drohendes Kompartementsyndrom und verdächtigt die Einnahme des in Deutschland nicht mehr zugelassenen Antibiotikums Chloramphrenicol als Ursache dieser Erscheinung.
Im Frauenzimmer liegt ein junges hübsches Mädchen, die nach fünftägiger starker generalisierter abdomineller Schmerzen, Erbrechen und Verstopfung operiert wurde. Bei der OP entfernte man zwei Liter Eiter. Die Ursache für diese starke Entzündung wird mit einer perforierten Appendizitis erklärt, obwohl diese vermutlich aufgrund des fortgeschrittenen Prozesses nicht mehr zu finden war. Heute ist ihr fünfter Post-OP-Tag. Aus der einen Drainage kommt immer noch Eiter. Die andere war von irgendjemanden einfach abgeschnitten worden, so dass nur noch ein am Ende offener Schlauch aus dem Bauch schaut. Diese wird nun umgehend vollständig entfernt. Eine Lavage ist erschwert durchzuführen, wenn nur noch eine Drainage liegt. Was nun mit ihr passieren soll, ist für mich unklar geblieben.
Einige Patienten haben auch Tumoren jeglicher Art. Ein unklarer Beckentumor, Brustkrebs und erstaunlich junge Patienten mit Darmkrebs. Auf die Frage, ob das hier normal sei, dass so viele junge Patienten Darmkrebs bekommen, antwortet der SCO, dass es in den letzten Jahren vermehrt aufgetreten ist und die Ursache hierfür bisher nicht gefunden wurde.
Auch ein 13jähriges Kind liegt auf dieser Station, da hier nur Patienten bis 12 Jahren auf einer pädiatrischen Station landen. Der Junge hatte im linken oberen Brustkorbbereich ein großes Fibroadenom, das nun zum ersten Mal revidiert wurde.
Donnerstag: Heute gehen wir auf derselben Station mit dem Chefarzt die Runde in Begleitung von weiteren 20 Studenten. Es ist ein Kunststück akustisch überhaupt etwas mitzunehmen. Nach einigen Betten gehe ich zur Taktik über, mich einfach schon an das nächste Bett zu stellen, um eine bessere Ausgangsposition zu haben. Es hat tatsächlich geklappt.
Nachmittags ist die Grandround, die einmal die Woche stattfindet. Dort werden Fälle zu einem bestimmten Thema vorgestellt und dann die theoretischen Hintergründe referiert. Dieses Mal ist Penisbruch das Thema. Es werden zwei Fälle vorgestellt, wobei sich im Nachhinein herausgestellt hat, dass der eine vermutlich gar kein Penisbruch war und fehldiagnostiziert wurde. Es entspannen sich lustige Diskussionen, die ich hier nicht näher ausführen möchte…
Freitag: Heute ist OP-Tag. Da wir jetzt loswollen, vertage ich das mal…