Montag, Februar 04, 2008

Flüchtlingslager

Gestern waren wir wie hier üblich in der katholischen Kirche in Nairobi, in die Marlies Familie sonntags geht. Kirche in Kenia ist ein Thema für sich. In der Predigt wurden menschliche Königreiche mit dem Königreich Gottes verglichen und festgestellt, dass doch die bisherigen Königreiche auf Erden eher zur Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich geführt haben.
So wohl auch in Kenia:
Anschließend sind wir nach Limuru ins umliegende Hochland gefahren. Dort steht etwas abgelegen das Kinderheim "The Nest" (s. früheren Bericht). Marlies Mutter organisiert das Heim. Es liegt ca. 40 min abseits von Nairobi. Die Straße dorthin ist verhältnismaßig gut, d.h. der erste Teil. Dieser ist asphaltiert und ohne wesentliche Schlaglöcher. Um zum Nest zu kommen, muss man allerdings das letzte Stück auf einer kleinen unbefestigten Straße aus Erde und Schutt fahren. Nach starken Regenfällen ist hier das Durchkommen schwer. Man kommt an kleinen Häusern mit Wellblechdächern von armen Menschen vorbei, doch wird man zeitweise mit einem Blick ins angrenzende Tal belohnt. Dort sieht man vereinzelt Häuser mit Teefeldern rundherum. Von den Unruhen ist hier auf den ersten Blick kaum etwas zu spüren und doch hat sich hier in Limuru einiges verändert.
Limuru ist Kikuyu-Land. Hier machen sie einen noch größeren Anteil aus als in Nairobi (auch Kikuyu-Land), wo sich eine große internationale Gesellschaft gebildet hat. Hier in Limuru sind inzwischen alle Luos geflüchtet. Sie wurden vertrieben. Seit Jahren war unterschwellig eine Abneigung gegenüber Luos und anderen Stämmen festgestellt worden und nun wurde dieser Abneigung Luft gemacht. So nah an der Großstadt Nairobi, in dem das Hauptquartier der UNEP steht und auch andere UN-Organisationen einen großen Standpunkt haben!
In Limuru steht eine Schuhfabrik, Bata. Hier wurden in der Vergangenheit auch viele Luos beschäftigt. Da diese jetzt alle vertrieben (!) wurden, sind mehrere Arbeitsstellen frei und Kikuyu kämpften und lagerten vor den Toren der Fabrik, um eine der freigewordenen Stellen zu ergattern.
Im Nest angekommen sieht man Kinder mit einer Betreuerin, die Bohnen auslesen, andere toben im Haus, die Kleinen sind bereit für den Mittagsschlaf. Hier ist wenig von den Unruhen zu spüren. Nur die Krankenschwester, die sonst da ist, ist Luo und wollte in den Westen Kenias flüchten, kam nicht weiter und hat schließlich Unterschlupf in Nairobi gefunden. Diesmal begrüßt mich eine andere Krankenschwester. Kuna Mgonjwa? Gibt es Kranke? Nach ein paar Minuten warten vor der Officetür ein paar Kinder auf ihre Behandlung. Ein Kind bricht seit einer Woche und hatte es niemandem erzählt, ein anderes hat seit 3 Monaten eine laufende Nase und die bisherigen Medikamente haben nicht geholfen, eine andere hat eine Mandelenzündung... Das Nest hat eine Auswahl an Medikamenten, so dass zumindest die Behandlung mit diesen Medikamenten versucht werden kann. An Untersuchungsgerät blieb mir nur das mitgebrachte Stethoskop und Otoskop.

Zum Abschied gabs noch Kuchen, der vom Gottesdienst übrig geblieben war. Das nächste Ziel war ein ungewöhnliches. Ein Flüchtlingslager in dem Land, dass ich bisher von einer ganz anderen Seite kennengelernt habe. Ein Nestangestellter begleitete uns. Grund für den Besuch war die Einschätzung der Lage und nach Möglichkeit zumindest einige Alte und Junge aus dem Lager vorübergehend im Kinderheim oder im "Halfway-House" unterzubringen.
Es liegt nicht weit entfernt von dem Kinderheim. Aus der Entfernung sah man große Menschenmassen, die sich auf dem angrenzenden Fußballplatz aufhielten. Ein buntes Bild, nicht allein wegen der farbenfrohen Kleidung. Wir stellten unser Auto vor dem Eingang neben vielen anderen ab, und passierten das Tor auf das Gelände. Viele gingen ein und aus. Es kommt ein Geruch nach Fäkalien auf, da angrenzend wohl die Toilettenhäuser aus Holz stehen. Rote-Kreuz-Mitarbeiter kamen ins Blickfeld, die durch ihren auffälligen Überwurf herausstachen. Etwas entfernt vom Eingang sprach ein Mann auf eine mit Abstand umherstehende Menge ein. Vermutlich ein Prediger, der Gott um bessere Zeiten bittet. So viele Menschen stehen umher und hören zu. Ihre Mimik verrät zum Teil was sie durchgemacht haben. Sie haben ihr Hab und Gut, ihr Haus, ihr Land und ihre Heimat verloren. Sie fangen alle bei 0 an.
Wir gehen am Kreis entlang und betreten ein größeres Haus, in dem sich unter anderem das Office des Obersten befindet. Wir werden vorstellig und berichten von unserem Anliegen. Wie es in Kenia so ist, so verhalten sich Vorgesetzte auf eine bestimmte Art und Weise. Es muss in dem Gespräch deutlich werden, dass alles von ihnen abhängt und nur aufgrund ihrer Zustimmung überhaupt etwas passiert. Auch wenn es nur um Kleinigkeiten geht. So werden wohl auch noch einige Tage vergehen, bis zumindest ein paar weniger Leute auf diesem engen Raum leben werden.
Ein Blick in den Nachbarraum verrät wie die Menschen zur Zeit leben. Ein großer Raum, in dem am Rand etliche Matratzen lagern und Reste von ihrem Hab und Gut, was sie noch in letzter Sekunde mitnehmen konnten. Schränke, Kommoden, Stühle... Einige stehen in der Tür oder sitzen auf abgelegten Matratzen. Sie warten. Sie warten auf unbestimmte Zeit und auf eine unbekannte Zukunft.
Wir gehen auf die andere Seite des Geländes und suchen die medizinische Leitung. Andere Häuser grenzen an und bieten wenigstens zur Nacht ein Dach über dem Kopf. In anderen Ecken sind Zelte aufgeschlagen.
Personal von Ärzte ohne Grenzen kommt regelmäßig, um Kranke zu versorgen. Verletzte waren zu dieser Zeit für mich nicht sichtbar. Der Nestangestellte erzählt, dass einige Menschen aus der Umgebung die Möglichkeit der kostenlosen Versorgung auch nutzen und dadurch sich tagsüber noch mehr Menschen im Lager aufhalten.
Zurück zum Auto. Zu begreifen, was ein Flüchtlingslager in diesem Land bedeutet, ist schwierig. Wir fahren weiter in ein anderes Lager im Nachbarort. Ein Luo-Camp. Grund genug für den Kikuyu-Nestangestellten nicht mitzukommen. 'Sie hätten angefangen!' So ein Satz ist schwer zu verdauen. Wie tief doch das Volksgruppendenken sitzt!
Wir fahren ohne ihn. Das Luo-Camp liegt auf dem Gelände einer Polizeistation, weil sie sonst keine sichere Stelle gefunden haben. Rechts vom Eingang stapeln alle möglichen Gegenstände, deren Besitzer es doch noch geschafft haben, sie mitzunehmen. Wie auch im anderen Lager, doch hier stapeln sie meterhoch. Darunter auch Säcke voll mit Kleidern.
Links ein Zelt bis oben hin mit großen Säcken voll Lebensmittel von Hilfsorganisationen. Dahinter ein Riesensack mit Trinkwasser. 10.000l. Daran scheint es nicht zu mangeln. Rechts hinter dem Polizeistationshaus eine Bühne mit Musikanlage und Prediger. Es ist Sonntag. Vor der Bühne eine große singende Menschenmenge und dazwischen ein Weißer mit gestrecktem Arm und Videokamera in der Hand. Die Menschen scheinen glücklich zu sein. Links ein Platz an dem Männer Brennholz mit der Axt machen. Mit etwas Glück konnten wir der Axt ausweichen und kamen zu den Kochstellen. Riesige Töpfe aus Aluminium stehen auf offener Flamme. Rundherum stehen Zelte von UNHCR oder auch mit einem Aufdruck der iranischen Botschaft (ich weiß nicht, wie die hierher kommen). Zwischen den Zelten stehen wieder mitgebrachte Möbel. Hier kommen wir mit einer Rote-Kreuz-Mitarbeiterin ins Gespräch. Zu unserer Bewunderung ist sie Kikuyu und hilft "trotzdem" im Luo-Lager mit. Sie wird sich melden und dann ein Fahrzeug losschicken, um einige Alte ins Halfway-House zu bringen. Während des Gesprächs wuseln vier Kinder um uns herum und sagen "Mzungu" wie es vor allem auf dem Land üblich ist. Mzungu wird für Weiße verwendet, auch wenn die Bedeutung sich nicht unbedingt auf die Farbe bezieht (später mehr dazu). Marlies unterhält sich mit ihnen auf Suaheli. Sie freuen sich und lachen. Ihnen ist nicht anzumerken, was sie in den letzten Wochen an Leid durchgemacht haben. Vielleicht hatten sie auch Glück und ihrer Familie ist keine Gewalt widerfahren.
Nach dieser Erfahrung hab ich im Internet Bilder von den blutigen Unruhen gesehen. Schreckliche Bilder, die einem so nah gehen. Ein Bild zeigt in einem kleinen Haus ein weinendes Kind auf einem Stuhl sitzend. Links davon ein leeres Bett. Und vor dem Stuhl liegt die Mutter des Kindes - erschlagen durch Macheten.
Dieses weinende Kind hätte eins der lachenden Kinder im Flüchtlingslager sein können. Unbegreiflich...

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