Donnerstag, Februar 14, 2008

ein ganz normaler Tag - Fortsetzung

Grad sitzt ich im Zug und mir kommt es vor, als wäre eine Ewigkeit seit dem letzten geschriebenen Wort vergangen. Just arrived in Marburg. Aus einem Land, das Jahre friedlich vor sich her geschlummert hat und auf einmal die Menschen verrückt spielen. Wieder kam grad eine Nachricht vom Nest rein, dass das Leid sich fortsetzt bzw. auch im Nest mehr davon zu spüren ist. Aus Nakuru, einer Stadt nicht weit von Nairobi im Westen, sind Kinder und Alte, Flüchtlinge, ins Nest gekommen. Die Sohlen der Füße der Kinder sind von Sandflohen angenagt, und die Alten nagen am Hungertuch. Eine Familie wurde von ihrem Bauernhof vertrieben. Einen Bestand von 5 Kühe konnten sie sich in jahrelanger Arbeit mühsam aufbauen und jetzt kamen sie mit einer Plastiktüte in der Hand in Nairobi an. Da kommt immer wieder die Frage auf: Warum kommt es zu dieser Unmenschlichkeit? Zurück zum Flughafen. Zum zweiten Mal da. Ich ging erst zum Schalter, um mich zu vergewissern, dass der Flug auch wirklich geht. Und ja, er sollte starten. Mit dem Boarding Pass in der Hand ging ich in den Warteraum, schaue auf den Bildschirm. Dort steht geplanter Abflug um 22.30h, voraussichtlicher um 6.55h. Ich zurück zum Eingang und frage das gelangweilte Personal. Sie wollten mir nicht glauben und folgten mir. Tatsächlich. Ich zurück zum Checkin-Schalter. Die Dame in roter Kleidung sagte, es sei jeden Abend so. Die Anzeige sei immer verkehrt und der Flieger würde aber pünktlich abfliegen. Puh, nochmal Schwein gehabt. Es wär ja auch zu verrückt gewesen. Mit Pizzapappe aus der Stadt in der Hand passierte ich erneut die Schranke. Für diesen Aufenthalt ein letztes Mal. Die Maschine ging und ich war um halbzwölf nachts in Mombasa. Das Flugzeug war unerwartet gut gefüllt und
die Menschen verschwanden in die Nacht. Einige Minuten verfolgten mich noch kundenlose Taxifahrer, dann war der Flughafen leer. Ich hatte die Info, dass es in der Nähe kein Hotel gäbe. Deshalb hatte ich mich auf eine Flughafenübernachtung eingestellt. Man sagte, es sei eine Wartehalle geöffnet. Naja, Pustekuchen, selbst eine Toilette hatte ich zunächst übersehen. Ich schnell - wahrscheinlich unerlaubterweise - zur Gepäckausgabe zurück, bei der ich kurze Zeit wie ein Wunder das Gepäck erhalten hab. Dort war eine Toilette. Zumindest die Zähne sollte sich abends ein Deutscher putzen. Als ich wieder rauskam, wunderten sich die Sicherheitsleute, wo ich denn zu so später Zeit herkommen. Sie schauten mich ganz ungläubig an, dass ich die Nacht hier auf dem Flughafen verbringen wolle. Jemand bat mir an, einen Taxifahrer zu verständigen, der mich zum nächsten Hotel bringen solle. "Jambo Grill". Es gäbe dort auch Moskitonetze. Der
Preis für die Taxifahrt hörte sich wirklich nach einer kurzen Strecke an, obwohl der so sorgenvolle Sicherheitsmann (in Kenia allgemein"Askari" genannt) für die Vermittlung vermutlich seinen Anteil erhalten würde. Ich nickte zaghaft und war mit der Sicherheitslage bei
Nacht nicht im Reinen. Aber Dusche und Bett sind nach einem strapazierenden Tag schon etwas verlockendes. Hob schon einen kleinen Betrag, 1000 kenianische Shilling, ab (10 Euro) und machte meine Entscheidung in Nairobi bekannt. Doch Marlies war nicht so überzeugt und was ist sicherer als ein Flughafen in einem zerrütteten Land. Und bei Nacht sollte man sich auch in normaler politischer Lage nachts nicht unbedingt auf Reisen befinden. Also blieb mir nichts anderes übrig als hier zu bleiben. Unter dem großen Vordach mit ringsherum offenen Blick ins Freie, befanden sich ein paar Sitzgelegenheiten, viele halbwache Askaris, einige Putzkolonnen und ich. Der nächste Flug ging erst um 7h. Die nächsten Stunden galt es also totzuschlagen,
nicht nur für mich, sondern auch für die 10 Askaris, die sich immer mehr in eine schlafende Position begaben. Ihnen standen hierfür ein paar Bürostühle hinter einer Glasscheibe neben den
Durchleuchtungsgeräten zur Verfügung. Direkt neben den für Auswahl stehenden Sitzgelegenheiten befand sich das Office für den Sicherheitschef und die hiesige Polizei. Sie saßen an einem Tisch vor den Türen zu ihren Büros und warteten, dass etwas passiert. Ich stell mir vor, dass es nichts besonderes für sie ist, dass irgendein Weißer meint, die Nacht auf dem Flughafen zu verbringen.
Ich versuchte es mir auf den Hartplastikschalenstühlen bequem zu machen. Doch das Gefühl war schon arg komisch, dass mich keine Wand vom Freien trennte und vielleicht denkt sich ja doch jemand, dass sich etwas interessantes im Gepäck eines Weißen befindet. So ging ich zu den Sicherheitschefs und fragte, ob es nicht möglich sei, dass ich mir zumindest hinter der Glasscheibe ein Schlafplätzchen suchen könnte. Ein bisschen Swahili, ein bisschen lustig machen über die Situation... Es hat geklappt. Direkt hinter der Glaswand und noch vor der Durchleuchtungsmaschinerie durfte ich mir die Ecke neben den durch Askaris belegten Bürostühle als Schlafstätte aussuchen. Kopf auf den kleinen Rucksack, Beine auf die Reisetasche und in der Mitte meine Jacke. Das Bett war quasi perfekt. Mosquitos waren ein kleines Problem, aber dank Kikoi, einem kenianischen Tuch, konnte ich die freien Körperpartien bedecken. Eine Grille machte ganz schön Krach und einige Askaris haben sich noch angeregt unterhalten, aber ihre Kollegen neben mir, machten es ihnen schon gut vor. Schnarch! Nach zwei Stunden tat mir alles weh, irgendwie hab ichs bis halb 4 geschafft. Dann tauchten die ersten Deutschen für ihre Chartermaschine nach München auf. Ich blieb liegen und der Betrieb ging neben mir los. Sie machten gottseidank noch keine Anstalten, mich von meiner Ruhestätte zu vertreiben. Man stelle sich die Situation mal in Deutschland vor.
Irgendwann hatte ich doch ein gewisses Anstandsgefühl und legte mich auf der anderen Seite der Durchleuchtung hin. Hier diente eine Metallbank als Liegeplatz, die für gewöhnlich für den Zoll zur Verfügung steht. 3,5h (!) vor Abflug kamen die ersten Touristen für meine Chartermaschine um 9.30h nach Frankfurt. Als ob die nicht zumindest etwas länger hätten schlafen können. Auch noch Businessclass, so dass ich quasi doch der erste am Economyschalter war. Die Abfertigung erfolgte ganz ohne Computer. Sie hatten einen meterlangen Ausdruck auf denen, sie die Passagiertickets überprüfen konnten. Zwei große Bögen mit Aufdruck des Flugzeuginneren dienten für die Sitzzuordnung. Mein Betreuer griff zielstrebig schon nach einem Platz. Schnell realisierte ich, dass ich zumindest jetzt die Möglichkeit einer Verbesserung der Schlafgelegenheit nutzen sollte. "I ask for sitting at a window!" Er antwortete, ich sei allein und er
könne mir keinen Fensterplatz geben. Wie bitte? Ich bin erster und er kann mir keinen Fensterplatz geben? In einer Maschine, die sowieso nicht voll belegt sein wird. Ich bestand auf mein Recht auf besseren Schlaf und fragte nach seinem Chef. Ich erzählte meine Übernachtungsstory und realisierte, dass sie erst mit der Arbeit begonnen hatten. Alle anderen Flughafenangestellten kannten mich bereits und lächelten mir morgens fröhlich zu. Nun ja, sie griffen dann doch zu einem Fensterplatzaufkleber und klebten ihn auf meinen blauen Boardingpass. Anlehnstelle und Schlaf gerettet. Auf zum nächsten Sicherheitscheck. Dieser war sehr streng für kenianische Verhältnisse. Ich musste meine Schuhe ausziehen, aber gegen meine 1,5l große Wasserflasche hatten sie nichts, wo doch nur noch Flüssigkeitsbehältnisse mit max 150ml erlaubt sind. Im Duty-Free-Shop-Bereich angekommen. Dominierende Gesprächssprache ist hier deutsch. Einige Charterfliegende nach Mailand mischten sich auch
unter. An der Kleidung konnte man den Zielort der Wartenden gut einschätzen. Italiener elegant auch in passender Kakifarbenen Montur. Die Deutschen bevorzugten eher Hakuna-Matata-T-Shirts, die ihr Übergewicht und ihre gespannte Jeans kaum verbergen konnten. Bei einigen dominierte auch die für Safariunternehmungen wohl obligate Farbe Beige. Andere versuchten sich über das Anbringenlassen von Rasterzöpfen mit dem Land zu identifizieren.
Allein der Anblick ließ bei mir Skepsis aufkeimen und wer einmal den Strand an der Küste Mombasas gesehen hat... Riesen Hotelanlagen für Europäer mit Swimming Pool, die durch die Touristen kaum verlassen werden. Sonnen, aalen, essen und vielleicht noch eine Tour, um große Tiere zu besichtigen; Safari genannt. Doch mit den Menschen und dem Land wird sich kaum auseinandergesetzt. Leselektüren sind Kreuzworträtsel aus Deutschland. Mitbringsel riesige in
Papierverpackte Holzgiraffen, die vielleicht irgendeine Zahnarztpraxis zieren werden. Diese strandophile und animalophile Art von Tourismus ist für mich schwer zu verstehen. Stolz sind sie, wenn sie das Begrüßungswort "Jambo" beherrschen. Das dieses allerdings im Suaheli genauso wie "Hakuna matata" (für "kein Problem") eigentlich nur im Zusammenhang mit Touristen verwendet wird, weiß keiner.
Und doch, ist es der Tourismus, der die größte Einnahmequelle Kenias darstellt. Dieser merkwürdige Tourismus, der in so vielen anderen Ländern der Welt vermutlich ähnlich aussieht. Hier die Hotelburgen und eine Straße weiter, die einfachsten Herbergen für Hotelangestellte,
auch Holzhütten. Hier leben die Eltern mit ihren Kindern und evtl. Vieh auf engsten Raum.
Der Lebensinhalt so vieler Kenianer ist es, den Urlaub der Europäer angenehm zu machen. Jetzt bricht der Tourismus weg und der Hunger bricht aus, weil in der High Season auf einmal die Hotels leerbleiben und sich nur noch routinierte Strandlieger in das Land trauen. Und
wenn sie nach Hause kommen, ist es wichtiger davon zu berichten, dass sie einen Löwen gesehen haben, als dass sie ein Gespräch mit den Menschen über deren Familie geführt haben. Ist das normal? Von Hakuna matata kann ja jetzt zur Zeit keine Rede sein.
Ich schau in mein Portemonnaie. Es sind umgerechnet 15 € in KSH übrig. Was machen? Ich geh auf die Suche nach Safaricom-Kredit, Rubbelkarten, um das Guthaben auf meiner Handykarte zu erhöhen (allgemein "Credit" genannt). Und in Kenia ist es möglich Guthaben von seiner Handykarte auf die eines anderen zu übertragen. Es nimmt derweil derart Gestalt an, dass es auch als Zahlungsmittel angewandt wird. Möglicher Dialog wäre dann: "Oh, du hast grad kein Wechselgeld, dann schick ich dir 200 Credit." Es gibt also neben der zahllosen Scheine und Münzen auch die elektronische Währung auf dem Handy. Safaricom bietet jetzt quasi auch
Konten an, von denen dann gegen Gebühr Credit auch in bare Münze umgetauscht werden kann. Wer hätte gedacht, dass es in einem Dritte-Welt-Land so zugeht. Und doch ist es seit Jahren eins der wichtigsten Statussymbole ein ordentliches Handy zu besitzen. Wenns in einer Besprechung klingelt, ist es nicht etwa peinlich, dass man den möglicht außergewöhnlich tirilierenden Ton vergessen hat, auszumachen. Nein, es ist selbstverständlich, dass man abhebt und auch sitzenbleibt. Zeit hat ja in Kenia einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland...
Nun kommt von den Touristen kaum jemand darauf, Credit kurz vor Abflug zu beschaffen. In den Duty-Free-Geschäften ist er auch grad heute nicht mehr verfügbar. Ich hab ja Zeit und gehe komplett aus dem Flughafen, um das restliche Geld noch umzutauschen. Als ich den Sicherheitsleuten erzähle, dass ich Credit brauche, zeigen sie sichtlich Verständnis dafür. Wie gesagt, das Handy nimmt einen hohen Stellenwert ein. Mir fällt für Deutschland kein Vergleich ein. Was könnte die Sicherheitsbeamte in Deutschland dazu bewegen, einen erneut einreisen zu lassen. Vielleicht, dass man seinen Rucksack irgendwo stehenlassen hat? Bei der Passkontrolle musste ich wenigstens meinen Pass abgeben. Die Sicherheitsbeamten, die mit mir die Nacht verbracht haben, lächelten mir ein zweites Mal zu und ließen mich passieren. Ein völlig verrückter Mzungu eben. Aufgeladen und rübergeschickt. Innerhalb von Sekunden ist das Geld
irgendwo in Kenia auf einem anderen Handy. Und das Kostenlos. Eine Sekundenüberweisung übers ganze Land. Nun ja, wie es so ist, braucht das Handy auch Strom. Vor der langen
Reise noch einmal aufladen wäre nicht schlecht. Wie selbstverständlich suche ich nach einer funktionierenden Steckdose. Ein Ladenverkäufer sieht mich und meint, dass diese sicher nicht funktioniert. Er nahm mich mit und machte sich im Laden auf die Suche nach einer freien Steckdose. Der Chef schaltete sich ein und suchte für mich im Laden nach einer freien Steckdose. Er wurde fündig. Er fragte mich nach einem Stift, um das Einstecken des Eurosteckers zu ermöglichen. Die aus England stammenden Steckdosen sind mit einer Klappe gesichert, die
durch einen dritten Stift, dem Schutzkontakt zurückschnappt. Beim Eurostecker fehlt dieser und wird hier typischerweise durch einen Stift ersetzt. Wegen der oft auftretenden unterschiedlichen Stecker Routine in Kenia. Es lädt...
Ich lade deutsche Nachrichten auf meinem Handy. Auch Internet ist günstig und flächendeckend auf dem Handy verfügbar. Jedoch nicht kontinuierlich. Aber wie gesagt, mit der Einstellung zur Zeit...
Ein ganz normaler Tag in Kenia eben...

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