Montag, Oktober 23, 2006

Community Show im Slum Korogocho

Community Show in Korogocho:

Ich habe mich in der Stadt morgens um elf Uhr mit den Norwegern getroffen und bin mit Matatu ins Ungewisse. Endstation des Matatus. Aussteigen. Die Norweger versuchen sich an den Weg zu dem Ort zu erinnern. Eine Art Festival soll es sein, keine Ahnung was genau auf mich zukommt. Der Weg führt an einigen Geschäften vorbei, die mit ihrer Größe und Aussehen an Geschäfte in der ärmeren Innenstadt erinnern. Doch die Straße wird im Verlauf unbefestigt, Erde mit Rinnen an beiden Seiten, die mit Plastiktüten und anderem Dreck gefüllt sind. Daran schließt sich Wellblechhütte an Wellblechhütte an. Es beginnt zu stinken und die bunten Schilder der Geschäfte verschwinden. Es werden Schuhe, Bindfäden, Obst oder kleine Kohleofen entweder auf der Erde oder an überdachten Holzständen angeboten. Kinder in Stofffetzen fragen nach Geld. Wir erreichen eine Kreuzung im Sammelsurium an Wellblechhütten. Ich erfahre, dass gleich neben dem Slum nicht weit entfernt sich die Mülldeponie Nairobis befindet und das den stärker werdenden Gestank erklärt. Wir kommen an. Auf einem kleinen Platz mitten im Armenviertel wurde eine Bühne mit großen Bannern aufgebaut, daran schließt ein Laufsteg an. Ein Zelt davor sorgt für Schatten für ausgewählte Besucher und für die Jury. Welche Jury? Der Platz ist menschengefüllt. Alle Sitzplätze im Zelt sind belegt, rundherum um die Bühne ist eine Menschentraube. Man sieht nur Menschen. Selbst auf einem Vordach eines großen Hauses finden viele die Möglichkeit einen Blick auf das Treiben auf der Bühne zu erhaschen. Wir finden auf einer Bank in der prallen Sonne Platz. Menschen stapeln sich hinter uns. Irgendwann wird das Gedränge so groß, dass wir Plätze im Zelt angeboten bekommen. Eine riesige Erleichterung, nicht nur wegen der Angst vor einem Sonnenstich, auch wegen der Sorge um Verlust von Wertgegenständen im Gedränge oder wegen der Gefahr zu viel Aufmerksamkeit von klebstoffschnüffelnden Nachbarn zu erlangen.

Auf der Bühne wird uns ein wahnsinniges Programm dargeboten. Zuerst bekommen wir den Gesang von jungen lokalen Rappern oder auch ganz jungen Rappern, 10 bis 12 Jahre alt, mit. Der Moderator, ein schlanker junger Mann im mattblauen Anzug begrüßt die Menschen und freut sich auf das bevorstehende Programm. Er spricht mal englisch, mal swahili, mal beides gemischt, wie es hier so üblich ist. So langsam kommen wir dahinter, was uns bevorsteht, aber noch nicht so ganz. Auf dem größten Banner steht „Miss Koch Community Show". Wer ist Miss Koch?

Nun ja. Bald wurde uns klar, was es auf sich hat. Es wird die Miss Korogocho (Koch) gewählt. Nicht nur eine, sondern gleich drei und ein Mr. Als erstes tritt circa ein Dutzend Schülerinnen auf den Laufsteg, nicht irgendwie, sondern hochelegant. Sie sind von ca. zwei bis 14 Jahre alt. Sie haben die vergangenen Wochen wohl täglich mit dem Moderator trainiert, wie sie sich zu bewegen haben. Es ist erstaunlich wie sich besonders die kleinen präsentieren. Eine niedlicher als die andere. In der ersten Runde zählt jede ihren Namen, ihr Alter, ihre Hobbys und ihren Traumberuf (viele Supermodels (Miss Afrika/World), Krankenschwester…) auf und eine sagt sogar, dass sie sich gegen Korruption im Land einsetzen möchte. Sie marschieren in ihrer Eleganz wieder ab und werden abgelöst durch Rapper, Tänzer und Akrobatinnen. Eine Gruppe von Männern trommelt und Frauen tanzen dazu im bekannten afrikanischen Stil. Hüfte schütteln was das Zeug hält. Nebenbei treten die Kleinen ein zweites Mal auf, dieses Mal einzeln und in nahezu Abendkleidern. Ein drittes Mal in traditionellen oder Kleidern, die aus Abfällen zusammengestellt wurden. Säcke, Kronkorken als Verzierung. Sehr einfallsreich gestaltet.

Die nächste Unterhaltungsnummer sorgt für einige atemberaubende Momente. Eine Gruppe von ca. 8 Akrobatinnen stellt sich in Pyramiden und andere faszinierenden Kombinationen auf, nicht nur einmal. Und von einer zur nächsten in einem Affentempo. Die etwas größeren stellen die Basis und die etwas zierlicheren Kleinen fliegen auf die Schultern oder klammern sich an irgendwelchen Körperteilen der anderen und gelangen so in die zweite oder dritte Etage. Und das alles geschieht vor der Bühne auf dem unbefestigten Erdboden ohne jegliche Matten. Sie hetzen in ihrem schwarz-gelben Outfit über den Platz und sorgen ununterbrochen für blankes Erstaunen. Einmal schwingen sich die Kleinen um die Taille der Großen und die Kleinen fassen mit ihren Händen ihre Füße. Ein anderes Mal packen sich zwei so an, dass sie gemeinsam Purzelbaum machen und einmal der eine dem anderen auf dem Hintern trommelt und umgekehrt. Es sorgt für allgemeine Heiterkeit.

Eine weitere Miss Koch soll unter den jungen Frauen gefunden werden. Sie stellen sich vor und haben alle Ideen, wie sie das Leben für die Menschen in diesem Slum verbessern können und wollen sich vor allem auch für die Stärkung der Frauen einsetzen. Auch sie treten einzeln auf, aber längst nicht so elegant wie die Kleinen. Als nächstes stellen sich vier Männer im Anzug vor und wollen sich auch für die Stärkung der Frauen einsetzen. Die Krönung des Tages stellt wohl die Wahl der dritten Miss. Es treten auf den Steg Damen im höheren Alter auf den Steg und werden von der Menge bejubelt wie noch kein anderer. Eine stolzer auf ihre nicht zu verkennende Wohlleibigkeit als die andere. (In Afrika versuchen die Frauen möglichst einen dicken Hintern zu bekommen, weil dies hier als attraktiv gilt.) Im letzten Moment springt noch die letzte wohl verspätete Lady auf den Steg. Sie scheint beliebt und die älteste unter den Kandidatinnen zu sein. Sie ist forsch und ist sich ihrer selbst bewusst. Auch sie geben ihre Ziele preis und präsentieren sich auf dem Steg. Sie machen das flanieren auf dem Steg interessant und sorgen für Heiterkeit durch extravagante Hüpfschwünge kurz vor dem Verschwinden.

Unsere Unterhaltung ist noch um einen weiteren Faktor gesteigert. Auf dem Schoß von Abi, einer Südkoreanerin, hat sich ein zweijähriges Kind mit hoch stehenden Haaren eingefunden. Ich klatsche und bewege mich zur Musik und sie bewegt sich mit und versucht meine Bewegungen nachzumachen. Zwischendurch während des Programms ist sie eingeschlafen, wie andere Kinder auch auf den Schößen ihrer Mütter. Viele größere Kinder drängen sich um die Bühne und werden von Männern mit Stöcken auf Abstand gehalten. Es wird immer wieder dazu aufgerufen, dass man nicht drängeln soll und den Platz vor der Bühne freihalten soll. Das Interesse ist groß. Die Leute singen mit der Musik mit und bewegen sich rhythmisch dazu. Ab und zu schwappt die Menschenmenge von hinten nach vorne und die erste Reihe mit den kleinen Kindern fällt um. Es erinnert an die Gefahr, dass Menschen bei Großveranstaltungen umkommen können. Gott sei dank ist nichts passiert.

Nach fünf Stunden halb verdurstet und verhungert wagen wir uns dann doch, einen Weg nach draußen durch die unendliche Menge zu versuchen zu finden und schaffen es tatsächlich. Meine erste Modenschau und das in einem Slum in Nairobi. Was die Menschen hier mit so wenig Mitteln auf die Beine stellen, ist beeindruckend. Die Gewinner der Misswahl bekommen ein Essen im Fünf-Sterne-Hotel finanziert. Zusätzlich wird die Ausbildung von einer Kleinen gesponsert.

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